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Das Liberale an der Erbschaftssteuer

- eine Replik auf Markus Somm

 

erschienen in der Basler Zeitung vom 27.5.2015, Seite 5

 

Von Michael Derrer, Rheinfelden


Am 14. Juni stimmen wir über die Vorlage „Millionenerbschaften besteuern für die AHV“ ab. Erben ist eine wichtige gesellschaftliche Institution. Familienunternehmen und KMU dürfen in ihrer Entwicklung nicht behindert werden. Die zur Abstimmung stehende Vorlage ist wirtschaftsfreundlich und verhindert schädliche Fehlentwicklungen.

Menschen denken längerfristig, wenn sie etwas vererben können, sie sparen und investieren über den Zeithorizont ihres eigenen Lebens hinaus. Familienbesitz führt zu Stabilität. In der Abstimmungsvorlage ist daher vorgesehen, dass ein Ehepaar 4 Mio. Franken (und eine Einzelperson 2 Mio.) völlig steuerfrei vererben kann. Die Berechnung erfolgt auf Grundlage der Nettowerte: bei einer Liegenschaft wird die Hypothekarbelastung in Abzug gebracht.

 

Die Vorlage will, dass KMU keine Erbschaftssteuer zahlen müssen. Die Initianten schlagen einen Freibetrag für einen Unternehmenswert bis 50 Mio. vor. Im Vergleich zu den meisten kantonalen Erbschaftssteuern (etwa in BS, ZH, BE), ist dieser Schutz von KMU neu.

 

Die Mär, grössere Unternehmen in Familienhand würden durch die Vorlage zugrunde gerichtet, entspringt der Kreativität der gegnerischen Kampagne. Der durch die Initianten vorgeschlagene Sondersatz von 5%, zahlbar in zehn Jahresraten, kann durch die grossen Familienunternehmen ohne weiteres aufgebracht werden. Die Steuer zerrt weder an der betrieblichen Substanz, noch verhindert sie die weitere Kapitalbildung.

 

Markus Somms Forderung eines familien- und unternehmensfreundlichen Erbrechts wird durch die Abstimmungsvorlage perfekt erfüllt.

 

Die Abstimmungsvorlage bezweckt keine zusätzlichen Steuereinnahmen, sondern eine etwas andere Verteilung der Steuerlast auf die Bevölkerung. Bei einer Ablehnung der Steuer für Grossvermögen am 14. Juni muss die Unterdeckung der AHV durch steigende Lohnbeiträge kompensiert werden. Höhere Lohnnebenkosten sind aber keine wirtschaftsfreundliche Lösung. Oder alternativ könnte man die Mehrwertsteuer erhöhen, sprich: teurerer Konsum für alle. Wer jetzt gegen die Erbschaftssteuer stimmt, soll daher nicht erstaunt sein, wenn er seinen Entscheid bald schon im eigenen Portemonnaie spüren wird.

 

Korrektur einer nicht nachhaltigen Entwicklung

 

Bei der Einführung einer Erbschaftssteuer für Grossvermögen geht es um die Korrektur einer Entwicklung, die nicht nachhaltig sein kann. 2% der Schweizer Bevölkerung besitzen heute gleichviel wie die restlichen 98%. Und die Dynamik zeigt, wohin der Weg führt: der Anteil der reichsten 2% am Volksvermögen ist in den vergangenen 20 Jahren stetig gestiegen. Grossvermögen werfen jährlich, täglich, Renditen ab. Durch einen „Zinseszinseffekt“ (also Renditen auf die Renditen des Vorjahres) wachsen die Grossvermögen nicht im Gleichschritt mit dem Bruttoinlandprodukt, sondern überproportional. Diese Renditen entstehen nicht aus der Luft, sie müssen durch die Gesamtbevölkerung erarbeitet werden. Sich über mehrere Generationen vermehrende Grossvermögen führen dazu, dass der Anteil der KMU und des Mittelstands am Kuchen der Wertschöpfung sinkt.

 

Eine Korrektur durch eine moderate, gezielt eingesetzte Erbschaftssteuer für Grossvermögen trägt dazu bei, diese Dynamik zu stabilisieren. Sie nimmt daher niemandem etwas weg, sondern stellt bloss ein kleines Gegengewicht zu einer Fehlentwicklung dar, die längerfristig die Grundfesten unseres Wirtschaftssystems erschüttern könnte.

 

Was heisst Liberalismus?

 

 

Markus Somm qualifizierte die Vorlage als „radikal“ und „sozialistisch“. Liberale wissen, dass der Schutz des Privateigentums eine notwendige Grundlage für die Rechtssicherheit und für die Freiheit schlechthin ist. Liberalen sind aber auch Privilegien ein Dorn im Auge, denn sie behindern den Wettbewerb mit gleichlangen Spiessen - einer notwendigen Voraussetzung für eine funktionierende Leistungsgesellschaft und Marktwirtschaft.

 

Der philosophische Kern der Auseinandersetzung liegt in der Frage, ob es beim Vererben grosser Vermögen um den Schutz des Eigentums geht, oder aber um schädliche Privilegien, welche quasi durch die Hintertür aus der alten feudalen Ständegesellschaft in die moderne Zeit schlüpfen.

Liberale Ökonomen vom Schlage eines John Stewart Mill im 19. Jahrhundert und heutige US-Amerikanische Milliardäre wie Bill Gates oder Warren Buffet sind sich der Gefahr vererbter Vermögensprivilegien bewusst, und es erstaunt nicht, dass die wirtschaftsliberale USA hohe Erbschaftssteuern kennen (je nach Staat 40-55% bei einer Million USD Vermögen). Den Angelsachsen geht es darum, das Vertrauen in eine Gesellschaft zu erhalten, in der Erfolg auf individueller Leistung beruhen soll.

Aus diesem Verständnis des Liberalismus wird klar, dass die Initiative für eine nationale Erbschaftssteuer in der Schweiz nicht von links hätte kommen müssen – sie ist ein liberales Anliegen.

Die Vorlage „Millionenerben besteuern für die AHV“ ist intelligent konzipiert, denn sie besteuert nicht das Erben als solches, sondern verteilt die Steuerbelastung dorthin, wo sie am wenigsten wehtut. Von der Vorlage profitieren über 98% der Bevölkerung, insbesondere die KMU und der Mittelstand. Die grosse Mehrzahl derjenigen, die am 14. Juni ein Nein einlegen, wird gegen ihre eigenen Interessen stimmen.

 

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