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Interview Sonntagszeitung, 17.5.2015
 

Herr Derrer, Sie bezeichnen sich als Liberalen, sind aber für eine neue Steuer. Sehen Sie da keinen Widerspruch?

Liberal sein kann nicht bedeuten, dass die Sozialversicherungen nicht finanziert sind. Dass die AHV wegen des zunehmenden Ungleichgewichts zwischen Erwerbstätigen und Rentnern eine zusätzliche Finanzierung braucht, ist allen klar. Jetzt geht es darum, wie man das finanziert. Eine Steuer auf grosse Erbschaften tut am wenigsten weh. Die Alternative wären höhere AHV-Beiträge, also höhere Lohnnebenkosten. Das würde den Unternehmen schaden. Oder man müsste andere Steuern erhöhen oder die Leistungen kürzen. Ich glaube nicht, dass das die Schweizer Bevölkerung möchte.

 

Warum sind Sie für die Erbschaftssteuerinitiative?

Sich über Generationen selbst vermehrende Riesenvermögen, die den Erben wie ein Lottogewinn zufallen, widersprechen unserem marktwirtschaftlichen System und dem Wettbewerb mit gleich langen Spiessen. Leistung muss sich lohnen. Die Erbschaftssteuer ist eine sehr liberale Steuer, denn sie entspricht dem Leistungsprinzip.

 

Wenn Sie so argumentieren, müssten Sie alle Erbschaften zu hundert Prozent besteuern.

Ich bin überhaupt nicht gegen das Erben, denn Erben stärkt die Vermögensbildung, und Familienbesitz führt zu Stabilität. Ich bin nur dagegen, dass die vererbten Vermögen Ausmasse erreichen, die zu einer Entwicklung führen, die nicht nachhaltig sein kann. Unser demokratisches und marktwirtschaftliches System, das vor zweihundert Jahren im Kampf gegen die alte Ständegesellschaft entstanden ist, wird dadurch unterminiert.

 

Würden Sie denn sagen, dass wir heute in der Schweiz einen neuen Feudalismus haben?

Die grossen Vermögen vermehren sich durch die Zinseszinsen immer mehr – in  einem Ausmass, das nicht mehr gesund ist für die Gesellschaft und die Wirtschaft. Wenn ein Vermögen von hundert Millionen zu fünf Prozent Zins angelegt wird, dann sind es nach sechzig Jahren fast 2 Milliarden. Diese Zinserträge müssen durch die Gesamtbevölkerung erarbeitet werden. Die sinnvolle Institution der Erbschaft wird dadurch pervertiert. Wenn man da ein wenig Gegensteuer gibt, nimmt man niemandem etwas weg, sondern man verhindert nur, dass es immer extremer wird.

 

Was ist so schlecht daran, dass die Schweiz viele Vermögende hat? Es geht dem grossen Rest der Bevölkerung so gut wie in kaum einem anderen Land.

Wenn die Kapitaleinkommen stärker wachsen als die Wirtschaft insgesamt, sinken die Löhne und die Gewinne der kleinen Unternehmen. Die Tendenz lässt sich bereits beobachten. Weil ich beruflich mit Russland zu tun habe, kenne ich das Beispiel der Oligarchen. Wir laufen Gefahr, dass es in diese Richtung geht.

 

Grosse Familienunternehmer wie Peter Spuhler oder Michael Pieper warnen, die Erbschaftssteuer wäre katastrophal für ihre Unternehmen. Ihre Erben müssten Hunderte Millionen aus der Firma ziehen, nur um die Steuer zu zahlen. Das kann Ihnen doch nicht gleich sein.

Wenn man einmal den Initiativtext gelesen hat, dann sieht man, dass Sondersätze für Familienunternehmen vorgesehen sind. Die Initianten fordern nicht mehr als 5 Prozent. Also wird der Sondersatz sicher nicht höher, er könnte sogar noch tiefer sein. Im Text steht auch, dass die Steuer über zehn Jahre gestaffelt bezahlt werden kann. Das ergibt so geringe Beträge, dass die Grossunternehmen dies aus der Portokasse begleichen können. Mich stört es, dass die Gegner diese Sonderregelung totschweigen.

 

Schon heute werden Familienunternehmer mit der Gewinn-, der Einkommens- und der Vermögenssteuer dreifach besteuert. Jetzt soll noch eine vierte Steuer dazu kommen. Ist das nicht ungerecht?

Erstens mal ist es nur schon darum keine Doppelbesteuerung, weil der Erblasser und der Erbe verschiedene Personen sind und damit andere Steuersubjekte. Und zweitens wird Geld, das im Umlauf ist, immer wieder besteuert. Sie können auch noch die Mehrwertsteuer dazuzählen. Ich habe an der Migros-Kasse noch niemanden gesehen, der sagt, er wolle die Mehrwertsteuer nicht bezahlen, weil er schon Einkommenssteuer bezahlt habe.

 

Sie haben wenige Wochen vor der Abstimmung ein liberales Ja-Komitee gegründet. Wieso?

Es hat mich entsetzt, auf welch tiefem Niveau die Gegner argumentieren. Sie nehmen irgendwelche Vorwände und lassen sich gar nicht auf die Substanz der Vorlage ein. Und ich bin enttäuscht, dass meine Partei diese Vorlage nicht unterstützt. Immerhin ist es mir gelungen, an der Mitgliederversammlung der Grünliberalen des Kantons Aargau 45 Prozent Ja-Stimmen hinzubringen. Ich glaube, dass viele Leute aus dem bürgerlichen, liberalen oder konservativen Spektrum zustimmen würden, wenn sie besser aufgeklärt würden.

 

Als Liberalen müsste Sie aber die Rückwirkungsklausel für Schenkungen in der Initiative stören. Das verstösst doch gegen jegliche rechtsstaatliche Prinzipien.

Ich stimme Ihnen zu einem gewissen Grad zu. Aber es ist nachvollziehbar, dass die Initianten unterbinden wollen, dass sich alle aus dem Staub machen, bevor der neue Artikel in Kraft tritt. Diesen kleinen Malus muss man in Kauf nehmen für die grosse Sache.

 

Interview geführt von Peter Burkhardt

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